Federn lassen
Wie nahe darf eine Beziehung gehen? Ein Verhältnis? Eine „Anmache“ in einem Club? Eine Freundschaft? Wo endet Intimität und beginnt Übergriffigkeit? Ab wann empfindet eine Frau männliches Verhalten als aggressiv, sogar gewalttätig?
In Federn lassen von Regina Dürig geht es um diese Fragen. Erhellend und schmerzhaft manchmal zugleich.
Denise Hasler, aus Solothurn stammende Schauspielerin liest aus dieser Novelle, musikalisch begleitet wird sie von ihrer Schwester Christine Hasler.
«SPIELEN
Du bist vier
und spielst am liebsten
mit dir alleine
das beunruhigt deine Eltern
weil Kinder
doch so gerne
mit anderen Kindern
spielen
sagen sie
laden den Sohn von
Freunden den
Torsten ein
deine Mutter
leiht ihm das
kleinste Paar
Gästehausschuhe das
mit den Lachgesichtern
du gehst ins Bad
und machst Zahnpasta
auf die Bürste
du lässt Wasser
drüberlaufen
und dann hast du
den rosa Geschmack
im Mund
bis der Schaum
langsam dünn wird
irgendwann ist da
gar kein Schaum
mehr und
noch später
gar kein Geschmack
und Torsten
geht zu deiner Mutter
und fragt ob er
wieder nach Hause
darf und sie will wissen
ob ihr nicht
schön zusammen spielt
und die Haustür
geht auf und zu
und du stellst
die Bürste zurück
in den Becher
du bist vier
und hast gewonnen»
In höchst verdichteter Form erzählt Regina Dürig in ihrer Novelle aus dem Leben eines vierjährigen Mädchens bis hin zur achtunddreissigjährigen Frau. In der Du-Form, in welcher wir sie begleiten, begegnen wir allerlei Übergriffigkeiten, mal sind sie sexueller Natur, mal nicht, einige entsprechen der patriarchalen Hierarchie, andere stehen aber für eine generelle Übergriffigkeit der Menschen untereinander. Seele und Körper werden bedrängt, immer wieder.
Wo eigentlich sprachloses Entsetzen herrschen könnte, vermag Dürig mit einer nüchternen Form und einer doch gar lyrischen Sprache eine ganz eigene Tonart anzuschlagen.
Für Federn lassen erhält Regina Dürig den Literaturpreis des Kantons Bern 2021:
«Regina Dürig gelingt es in der Novelle «Federn lassen», sprachlich differenziert, knapp und verdichtet Gewaltsituationen in einem Frauenleben darzustellen, die von subtiler psychischer Gewalt bis zu tätlichen Übergriffen reichen.» (aus der Jurybegründung)
Regina Dürig
Regina Dürig wurde 1982 in Mannheim geboren und lebt in Biel. Sie ist Autorin, Performerin und Dozentin für Literarisches Schreiben.
Regina Dürig schreibt Prosa, Miniaturen und Hörspiele, ihre Werke wurden mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Peter-Härtling-Preis, dem Literaturpreis des Kantons Bern und dem Literaturpreis Wartholz. «Katertag» war für den Deutschen Jugendliteraturpreis nominiert, «2 ½ Gespenster» war auf der Shortlist für den Schweizer Kinder- und Jugendmedienpreis 2015 und auf der Empfehlungsliste der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur.
Im Stories-und-Sounds-Duo Butterland arbeitet Regina Dürig eng mit dem Musiker Christian Müller zusammen – die Arbeiten bewegen sich zwischen Hörspiel, Installation und Live-Performance.
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