Ein Leben

Die Reise führt nach Triest Ende des 19. Jahrhunderts. Wie viele vor ihm und nach ihm kam der junge Alfonso Nittli aus seinem Dorf in die grosse Stadt, mit grossen Träumen: ein philosophisches Meisterwerk wollte er schreiben und mit diesem das gesamte abendländische Denken revolutionieren. Doch er scheitert kläglich. Ein Ikarus des Geistes, aber nicht die Hitze der Sonne liess ihn abstürzen, sondern die harte Realität des Lebens. Silvia Jost und Andreas Berger lesen aus dem Roman Ein Leben von Italo Svevo, diesem grossen italienischen Schrifsteller der Moderne.
«(…)Er arbeitete ernsthaft, aber er arbeitete zu wenig. Allzuoft eilte er in Gedanken voraus zum vollendeten Werk, wenn sich die Sätze, die er geschrieben hatte, noch an den Fingern einer Hand abzählen liessen. So sah er in seinen Träumen die Vorzüge dieses Werkes gesteigert, das, eben, weil es noch unvollständig war, auch nicht durch die Widerstände der Feder beeinträchtigt werden konnte….»
Mit «Ein Leben» hat Italo Svevo einen der ersten Angestelltenromane der Literaturgeschichte geschrieben. Der Bankangestellte Alfonso Nitti ist der Antiheld in dem 1892 veröffentlichten Roman, der sich zu großen literarischen Taten berufen fühlt – und kläglich scheitert. Dabei hatte alles so verheissungsvoll angefangen, denn Alfonso war überzeugt, zu Bahn brechenden Taten bestimmt zu sein. Ein Werk über das Wesen der Moral war sein Plan gewesen, als er aus seinem Dorf nach Triest aufbrach.
Angekommen in der Handelsmetropole, muss er sich aus ökonomischen Gründen erst einmal als Hilfssschreiber in einer Bank verdingen und landet in den Niederungen des Alltags: intrigante Kollegen, gehässige Vorgesetzte, ein armseliges Dasein als Kostgänger bei der Familie Lanucci.
Sein revolutionäres philosophisches Werk bietet dem Provinzler Zuflucht, nur gestaltet sich die Abfassung doch viel mühseliger, als er dachte. Immerhin verschafft ihm seine exklusive Freizeitbeschäftigung den Zutritt zu den literarischen Kreisen der Hafenstadt. Hier lernt Alfonso die Tochter seines Vorgesetzten Annetta kennen, verfällt dem kühl-kapriziösen Mädchen mit Haut und Haaren, hängt seine philosophischen Ambitionen an den Nagel und konzentriert sämtliche geistige Kräfte auf die Eroberung der jungen Frau…

Italo Svevo
Geboren am 19. Dezember 1861 in Triest hiess er mit bürgerlichen Namen Ettore Schmitz. Sein Vater entstammte einer wohlhabenden jüdischen Familie aus Österreich, seine Mutter einer jüdischen Familie aus Triest. Er begann Theaterstücke und Prosatexte unter seinem Pseudonym Italo Svevo (übersetzt: Italienischer Schwabe) zu verfassen, aber seine ersten beiden Romane («Una vita» und «Senilità») war kein Erfolg beschieden. So arbeitete er als Bankbeamter und später in der Fabrik seines Schwiegervaters.
Doch der Drang zu schreiben, war zu stark. Er lernte James Joyce kennen, der begeistert war von seinem Schaffen und der ihn ermunterte, weiter zu schreiben. Durch Joyce wurde der französische Kritiker Valéry Larbaud auf ihn aufmerksam. Durch den wachsenden Erfolg in Frankreich wurde er zunehmend auch in seinem Heimatland bekannt. Die Beschäftigung mit den Schriften von Sigmund Freud hatte grossen Einfluss auf seine Bücher. Die psychologische Erforschung des Durchschnittsmenschen und seiner banalen Existenz wurden zum Stoff seiner Romane, in denen er auch bereits die Technik des Bewustseinsstromes ausbildete. Er gilt heute neben Joyce, Proust, Kafka und Musil als bahnbrechender Erzähler der modernen Weltliteratur.
Italo Svevo kam am 13. September 1928 bei einem Autounfall ums Leben.




