Tauben fliegen auf

Wie ist es, in Zürich zu wohnen, wenn die Familie ursprünglich aus der Vojvodina stammt? Wie ist es zwischen den so unterschiedlichen Welten zu leben?

Silvia Jost und Andreas Berger lesen aus dem wunderbaren Roman Tauben fliegen auf, für den Melinda Nadj Abonji 2010 den Schweizer und den Deutschen Buchpreis erhalten hat.

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«Als wir nun endlich mit unserem amerikanischen Wagen einfahren, einem tiefbraunen Chevrolet, schokoladefarben, könnte man sagen, brennt die Sonne unbarmherzig auf die Kleinstadt, hat die Sonne die Schatten der Häuser und Bäume beinahe restlos aufgefressen, zur Mittagszeit also fahren wir ein, recken unsere Hälse, um zu sehen, ob alles noch da ist, ob alles noch so ist wie im letzen Sommer und all die Jahre zuvor.»

«Der weiche Singsang meiner Grossmutter, das nächtliche Gequake der Frösche, die Schweine, wenn sie aus ihren Schweinchenaugen blinzeln, das aufgeregte Gegacker eines Huhnes, bevor es geschlachtet wird, die Nachtviolen und Aprikosenrosen, derbe Flüche, die unerbittliche Sommersonne und dazu der Geruch nach gedünsteten Zwiebeln, mein strenger Onkel Móric, der plötzlich aufsteht und tanzt. Die Atmosphäre meiner Kindheit. So habe ich nach langem Überlegen geantwortet, als mich Jahre später ein Freund gefragt hat, was denn Heimat für mich bedeute.(…)»

Die Familie Kocsis hat sich längst in der Schweiz niedergelassen und führt ein Café in einer erstklassigen Lage. Doch obwohl sie äußerlich angekommen sind, spüren die beiden Töchter Ildiko und Nomi immer noch die Zerrissenheit zwischen ihrer verlorenen Heimat in der Vojvodina und dem Wunsch, sich in die Schweizer Gesellschaft zu integrieren.

Die Erzählung enthüllt die zarten Fäden zwischen den Familienmitgliedern, die trotz der Entfernungen, die sie zurücklegen, nie ganz durchtrennt werden. Im Mittelpunkt steht Ildikó, deren Stimme uns durch die Wirren der Migration führt. Wir erfahren, wie sie sich bemühen, ihre Identität in einem fremden Land zu bewahren, während sie gleichzeitig versuchen, sich anzupassen. Es dauert eine Weile, bis Ildiko die harte Realität hinter dem scheinbaren Schweizer Idyll erkennt: Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile. Die Spannungen zwischen der Sehnsucht nach der Heimat, die sie verlassen haben, und der Hoffnung auf eine neue Zukunft prägen ihr Leben.

Der Roman ist mehr als nur eine Geschichte über Migration; es ist eine Ode an die menschliche Resilienz, die Kraft der Familie und die Schönheit der Hoffnung, die selbst in den schwierigsten Zeiten erstrahlt.

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(c) Valentin-Luthiger

Melinda Nadj Abonji
Melinda Nadj Abonji wurde am 22. Oktober 1968 in der Vojvodina, damals Teil Jugoslawiens und heute zu Serbien gehörend, geboren.Sie wuchs zweisprachig auf, da ihre Familie zur ungarischen Minderheit gehört. 1973 übersiedelte die Familie in die Schweiz.

Abonji begann schon früh mit dem Schreiben und gewann bereits mit 14 Jahren einen Literaturwettbewerb. Nach dem Abitur zog sie nach Zürich, wo sie Germanistik und Geschichte studierte und 1997 mit dem Lizenziatgrad abschloss..

Neben ihrer literarischen Tätigkeit ist sie auch als Musikerin und Textperformerin (mit dem Raplyriker und Beatboxer Jurczok 1001 sowie dem Musiker Balts Nil) aktiv und engagiert sich in verschiedenen sozialen und kulturellen Projekten.. Bekannt wurde sie für ihren Roman «Tauben fliegen auf». Ihre Bücher wurden mehrfach ausgezeichnet: u.a. 2010 den Deutschen und den Schweizer Buchpreis für «Tauben fliegen auf». 2017 erhielt sie den Schillerpreis der Züricher Kantonalbank und 2022 den Erich Fried-Preis.
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